Bei manchen unserer Aufträge bewegen wir uns in ehemals vom Krieg betroffenen Regionen. Manchmal ist dort auch immer noch eine "unsichere" Situation, wie etwa im Irak oder in Afghanistan. Bei Bauprojekten stellen sich dabei nicht selten auch Fragen nach der Kampfmittelfreiheit des Baugrundes. Es muss also geklärt werden, ob sich dort noch Waffen, Munition oder Minen befinden, bevor die Bauarbeiten beginnen können. Dies beurteilen meist die staatlichen Stellen des Landes, in dem das Projekt durchgeführt werden soll. Es ist aber gute Praxis, selbst mit eigenen Experten diese Beurteilung zu begleiten. Ggf. ist die Kampfmittelräumung dann auch Projektbestandteil, dann nutzen wir eher unsere eigenen Partner als regionale Unternehmen oder das Militär.
Einer der absoluten Experten für Kampfmittel aller Art war Paul. Paul hatte eine Ausbildung bei den Streitkräften der DDR erhalten, und da Deutschland ja aufgrund des 2. Weltkrieges auch mit allerhand Blindgängern und Minenfeldern belastet war, erwarb er sich über einige Berufsjahre im Dienst der DDR eine riesige Erfahrung mit allen Arten von Munition, Sprengmitteln usw. Zudem wurde er im Rahmen der "Entwicklungshilfe" in den 1980er Jahren im von der Sowjetunion besetzten Afghanistan eingesetzt und lernte dort auch die Modernen Kampfmittel aus russischer Produktion kennen.
Paul kannte sich also gefühlt mit allen denkbaren Munitionsarten, Minen und Bomben aus die irgendwer jemals erschaffen hatte. Ich hatte mehrmals mit Paul zu tun, sowohl im ehemaligen Jugoslawien als auch in Afghanistan. Dort erwarb er sich durch eine besonders denkwürdige Aktion nicht nur unseren Respekt sondern auch die Annerkennung eines EOD-Teams der US-Marines, die sicherlich auch nicht wenig in ihrer Laufbahn gesehen hatten. Und das kam so:
In der Nähe von Kandahr sollte ein Firmengelände für einen unserer Kunden als Stützpunkt und Bauhof für zukünftige Projekte in der Region hergerichtet werden. Nachdem viele, viele Formalitäten mit den örtlichen zuständigen (und nicht zuständigen) Behörden abgewickelt worden waren konnte das Gelände angekauft und mit den ersten Arbeiten begonnen werden. Eine der ersten Maßnahmen war, wie üblich, ein so genannter "IED-Sweep", also die Absuche des Geländes nach unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen, landläufig Sprengfallen. Es bestand eine gewisse Wahrscheinlichkeit auch wirklich etwas zu finden, denn um das Gelände herum hatte es offenbar Kampfhandlungen gegeben.
Neben einer Kiste mit unscharfen Handgranaten aus jugoslawischer Produktion, die allerdings überlagert und nicht transportsicher waren, fanden wir in einem Keller einige Abwasserrohre, wie man sie in Deutschland im Baumarkt kaufen kann. Sie waren auf eine ungewöhnliche Länge abgeschnitten und vor und hinten mit Deckeln versehen, was für den normalen Gebrauch keinen Sinn macht. Dennoch brauchte es Paul und seinen legendären Spürsinn, um die Gefahr dabei zu erkennen. Die obersten Rohre waren offenbar leer, weiter unten in dem Haufen befand sich aber etwas in den Rohren.
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Marines und Contractors im Shur Andam Industrial Park Kandahar U.S. Department of Defense Current Photos |
Da ohnehin alleine aufgrund der notwendigen Sprengung der Handgranaten die ANA (die Afghanische Nationalarmee) hinzu gezogen werden musste, sahen wir zunächst von weiteren Untersuchungen ab und gingen weiter der Suche im Gelände nach. Nach eine gefühlten Ewigkeit traf ein Trupp der ANA ein, der aber nur mitteilen könnte, dass man noch auf eine amerikanische Mentoren-Einheit zu warten hätte. Die dann am nächsten Tag eintraf...
Glücklicherweise handelte es sich bei der Mentoring-Einheit um einen EOD-Trupp, also um eine für Entschärfungen speziell ausgestattete und ausgerüstete Truppe. Paul führte den Truppführer zu dem verdächtigen Platz, und nach einer kurzen Diskussion stand fest, dass dort tatsächlich eine Gefahr zu bestehen schien. Seitens der Amerikaner musste weiteres Personal und Material nachgeführt werden, einschließlich eines Sanitätstrupps. Erst dann wagten sich die Experten weiter vor.
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Katjuscha-Raketen Von Tomasz Szulc Scan from Nowa Technika Wojskowa 10/93 Gemeinfrei |
Nach einigen Stunden schwieriger Arbeit an dem Haufen Rohre hatten die Marines neben den Handgranaten insgesamt 10 sowjetische 9M22-Raketen abgelegt, die für den Raketenwerfer BM-21 "Grad" produziert wurden. Diese Raketen kennt man aus den Medien als "Katjuscha", und sie wurde häufig von improvisierten Startrampen aus gegen Israel oder, in Afghanistan, gegen die Feldlager der ISAF, eingesetzt. Normalerweise würden die "Besitzer" solche wertvollen Waffen nicht irgendwo zurück lassen. Wie die Dinger also in den Keller des Fabrikgebäudes gekommen waren, kann nur spekuliert werden. Eventuell wurden sie von irgendwem irgendwo gestohlen und dort versteckt. Hin und wieder kann dann der Dieb seine Beute nicht mehr bergen und auch niemandem erzählen wo er sie versteckt hat, weil er selbst vorher zu Tode kommt.
Jedenfalls war ein solcher Zufallsfund wohl etwas so Besonderes, dass Paul von da an von den Marines, die wir später noch mehrmals treffen sollten, der Rocket-Man genannt. Bei einem informellen Treffen mit der Einheit, bei dem es sogar ein BBQ gab, wollten die jungen Marines nur die Geschichten des alten Deutschen "Rocket-Man" hören, der sie gerne zum besten gab. Er war schon in Afghanistan gewesen, als manche der Soldaten, mit denen er sprach, noch nicht geboren waren.
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