Mittwoch, 26. April 2017

Der Fall Michelle K. – 10 Jahre danach

Gestern vor 10 Jahren wurde in Heilbronn die Polizeimeisterin Michelle Kiesewetter durch bislang unbekannte Täter durch einen Kopfschuss getötet. Ihr Kollege Martin A. erlitt ebenfalls einen Kopfschuss. Er überlebte schwerverletzt und wird bis zu seinem Lebensende an den Folgen laborieren. Bei den Ermittlungen kam es zu folgenschweren Pannen, u.a. durch mit DNA einer Mitarbeiterin der Herstellerfirma verunreinigte Probenträger, die für die Beweissicherung genutzt wurden und zunächst auf das „Heilbronner Phantom“ als mögliche Täterin verwiesen.
In der weiteren Folge gab es Ermittlungen im Landfahrer-Milleu, da sich Mitglieder dieser Gruppe am Tattag in der Nähe aufhielten. Die Quelle „Krokus“, eine V-Person des Verfassungsschutzes Baden-Würtemberg gab Hinweise auf Interesse aus dem rechten Umfeld an dem Gesundheitszustand des Martin A.

Die Dienstwaffen Hekler & Koch P2000 der beiden Polizisten, die, zusammen mit Handschellen und Reizgassprühgeräten am Tattag entwendet worden waren, wurden im November 2011, nach dem Auffinden der Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in dem in Eisenach ausgebrannten Wohnmobil gefunden, welches mutmaßlich zu konspirativen Zwecken des Nationalsozialistischen Untergrundes NSU diente. Offensichtlich waren die Waffen bis dahin, immerhin 4 1/2 Jahre nach der Tat, nicht für weitere Straftaten benutzt worden.

Die Tatwaffen für den Angriff auf die beiden Polizisten wurden in der konspirativen Wohnung des NSU in Zwickau aufgefunden, nachdem diese von Beate Zschäpe in Brand gesetzt worden war.
Danach gingen die Ermittler davon aus, dass die Absicht der Täter, bei denen es sich mutmaßlich um Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt gehandelt hätte, die Beschaffung der Dienstwaffen der Beamten gewesen wäre. Aus meiner Sicht ist diese These aus vielerlei Gründen sehr schwach:
  • Da bereits der Angriff mit zwei Schusswaffen vom Typ Tokarev und und Radom begangen wurde, die auf konspirativem Weg beschafft worden waren, würde ein sich konspirativ verhaltender Täter niemals selbst Polizisten, also eigentlich vergleichsweise harte Ziele, angreiffen, um sich zusätzliche Waffen zu beschaffen. Er würde eher den schon bekannten Weg wählen.
  • Es gab immer wieder Hinweise darauf, Kiesewetter und zumindest Böhnhardt könnten Sich gekannt haben oder zumindest zeitweise in den gleichen Kreisen verkehrt sein. Dieser mögliche Zusammenhang wurde auch durch das BKA hergestellt, es kam jedoch zu erheblichem Widerspruch aus dem persönlichen Umfeld von Kiesewetter.
  • Ebenfalls aus dem persönlichen Umfeld Kiesewetters gab es Hinweise darauf, dass die Tat im Zusammenhang mit den als „Türkenmorden“ bezeichneten Taten des (damals in der Öffentlichkeit noch nicht bekannten) NSU stehen könnte. Woher die Hinweisgeber (Polizisten der Landespolizei Thüringen, die mit Kiesewetter verwandt waren) ihre Kenntnisse bezogen haben ist unklar, zudem kam es im Nachgang offenbar zu Einschüchterungsversuchen gegen die Hinweisgeber.
  • Die ARD zeigte kürzlich Filmaufnahmen, die den Tatort kurze Zeit nach der Tatbegehung zeigen und auf dem im Hintergrund stehenden Versorgungsgebäude ein Grafitti mit den Initialen NSU erkennen lassen. Hierzu hatten bislang keinerlei Ermittlungen stattgefunden, wohl auch, weil der Begriff NSU zum Zeitpunkt der Tat überhaupt noch kein Thema gewesen war.
  • Kiesewetter war offenbar durch ihre Aufgabe bei der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit in Einsatzsituationen, die normalerweise von einem MEK übernommen werden, namentlich der verdeckten Ermittlung im Drogenmilleu. Hier sind im Einsatzraum Berührungspunkte der organisierten Kriminalität in Person kurdischer und russicher Strukturen mit der rechten Szene bekannt. Es gibt Hinweise auf eine am Tatag stattgefundene Observation in Tatortnähe, die diesem Komplex zuzuordnen ist. In diesem Zusammenhang wird der Name Mevlüt Kar genannt, der weitreichende Kontakte sowohl zu deutschen als auch ausländischen Sicherheitsbehörden als auch zur OK und zum internationalen Terrorismus gehabt haben soll und inzwischen in Istanbul lebt. Bei einem Teil dieser Informationen stellte sich heraus, dass es sich um sehr gut gemachte Fälschungen handelte.
Bei Betrachtung alleine dieser, öffentlich verfügbaren Informationen, erscheint höchst zweifelhaft, dass die beiden Polizisten vom NSU selbst zufällig ausgewählt und mit der Absicht der Beschaffung von Faustfeuerwaffen angegriffen worden sind. Für sich konspirativ verhaltende Terroristen wäre ein solches Vorgehen höchst gefährlich. Zudem ist bekannt, dass die Terroristen über andere Wege zur Waffenbeschaffung verfügt haben, die ein solches Vorgehen sinnlos erscheinen lassen. Allenfalls zur Erbeutung hochwertiger, sonst nicht verfügbarer Waffen, etwa von Maschinenpistolen oder militärischen Sprengmitteln, wäre eine solche Entscheidung nachvollziehbar.

Es erscheint mir nach wie vor nicht schlüssig, warum den Hinweisen aus dem Umfeld Kiesewetters nicht stärker nachgegangen wurde, und warum die Erkenntnisse von Diensten wie dem BKA durch Widersprüche ebenfalls aus dem Umfeld Kiesewetters entwertet werden können.

Die Darstellung im Abschlussbericht des Innenministeriums Baden-Würtemberg von 2014, ist daher nach meiner Auffassung aus logischen Gesichtspunkten heraus unschlüssig.

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